5 Geniale Aspekte an THE IRISHMAN

Scorseses neuer Film ist für 5 Golden Globes nominert worden. Was macht diesen Film so gut? Warum sollte man ihn unbedingt sehen? Ich zeige die 5 genialsten Aspekte.

5 Geniale Aspekte an THE IRISHMAN

Gut Ding will Weile haben – Das gilt nicht nur um Leben, sondern ganz besonders bei Martin Scorseses Gangster Epos THE IRISHMAN, der seit 3 Wochen auf Netflix zu sehen ist und der für viele jetzt schon als Klassiker gilt. Bereits im Jahr 2008 begann der Meisterregisseur mit der Arbeit an seinem Mammutprojekt. Grundlage für das Skript ist das Buch "I Heard You Paint Houses" von Charles Brandt, das wiederum auf den wahren Begebenheiten rund um den Mafia Auftragsmörder Frank Sheeran beruht. Nun ist er für 5 Golden Globes nominiert worden, darunter bestes Drama, beste Regie und bestes Drehbuch. Was macht diesen Film so gut? Warum sollte man ihn unbedingt sehen?Wir listen die 5 genialsten Aspekte auf.

© 2019 Netflix

1. Die Erzählstruktur

Die Geschichte der Hauptfigur Frank Sheeran wird in 3 verschiedenen Zeiten erzählt. Das klingt jetzt erstmal nicht revolutionär, aber wo andere Filme auf die Idee kämen völlig willkürlich Rückblenden hineinzuwerfen, um Komplexität vorzugaukeln, erzählt Scorsese hier eine klug gestaltete und wohl durchdachte Rahmenhandlung innerhalb einer weiteren Rahmenhandlung. Quasi eine Rahmenhandlungs-ception.

Die Geschichte wird vom hoch betagten Frank im Altersheim erzählt. Er sitzt im Aufenthaltsraum in seinem Rollstuhl, blickt nah in die Kamera und erzählt die Geschichte eines Roadtrips zu einer Hochzeit mit seinem Mafia Freund und Mentor Russel Bufalino (Joe Pesci). An den Gesprächen und Geschehnissen auf dieser langen Fahrt hangeln sich dann die Rückblenden über Franks bisherigen Werdegang entlang, um später wieder dort anzukommen. Unter anderem diese gut getimten Wechsel zwischen den zeitlichen Perspektiven sorgen dafür, das sich die gigantischen 209 Minuten nicht wie 3,5 Stunden anfühlen, sondern wie im Flug vergehen.

2. Die Laufzeit

Wenn es einen Grund gibt, weswegen Netflix Nutzer den Film nicht anschalten werden, dann ist es mit Sicherheit die extrem lange Dauer, die sie abschreckt. Die heutigen Sehgewohnheiten lassen eine Laufzeit von über 2,5 Stunden höchstens noch bei effektgeladenen Blockbustern zu, wo eine CGI Schlacht auf die nächste folgt, um den Zuschauer mit epileptischem Flimmern auf der Leinwand wach zu halten. Ein ruhiger, sich zeit lassender und auf Dialoge fokussierter Film passt nicht ins Schema der Generation Smartphone. Und genau das macht ihn so wertvoll.

Gerade in unserer paradoxen Zeit wird der Ruf nach Entschleunigung immer lauter. Die ständige Erreichbarkeit, die mediale Reizüberflutung, die nervösen Ticks, wenn man schon 40 Sekunden nicht über sein Handydisplay gewischt hat, weil man ja neue Nachrichten haben könnte – je länger man darüber nachdenkt, dass dieser ganze Stress für uns völlig normal ist, wird es umso eigenartiger, dass wir daneben einen „zu langen“ Film als anstrengend empfinden. Dreieinhalb Stunden das Handy weglegen und sich ganz dieser Geschichte, seinen Figuren und Wendungen hinzugeben – das ist wahre Entschleunigung, gewissermaßen cineastische Meditation.

3. Die Dialoge

Wirft man einen Blick in den einen oder anderen Ratgeber zum Thema Drehbuch schrieben, läuft einem immer wieder eine „Regel“ über den Weg. Man soll den Rotstift ansetzen und jede Szene, jeden Dialog, der nicht zur Haupthandlung und dessen Weiterentwicklung beiträgt streichen. Es soll also möglichst jeder ausgetauschte Satz die Handlung vorantreiben. Ja, das steht wirklich in diesen Büchern. Gute Filme haben die Autoren solcher Werke nie geschrieben, denn gute Drehbuchautoren schreiben Drehbücher und keine Ratgeber - und THE IRISHMAN beweist ein weiteres Mal, wie sehr diese Regel falsch liegt.

Gerade die Dialoge sind es, die die meisterhafte Atmosphäre in diesem Film erschaffen. Da unterhalten sich an einer Stelle zwei Personen bei einer Autofahrt 10 Minuten lang über einen Fisch, der auf dem Rücksitz gelegen hat, bevor Frank Sheeran dort Platz nahm. Und es ist nicht langweilig, sondern atmosphärisch packend. In diesem Fall ist es der Umstand, dass so viel im Gange ist und auf dem Spiel steht und dann ein so banales Gespräch geführt wird. Hier und an unzähligen anderen Stellen nimmt der Film sich die Zeit um seine Figuren zu Wort kommen zu lassen und erzeugt damit eine berauschende Stimmung.

4. Die Texteinblendungen

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen Unterschied machen – und hinter denen mehr steckt als man denkt. In THE IRISHMAN wird immer, wenn eine neue Figur das erste Mal auftritt, ein Text eingeblendet, der beschreibt wann und wie diese Person sterben wird. Bei den meisten sind es Einblendungen wie „vor einer Bar erschossen“ oder „mit drei Kopfschüssen in seinem Auto gefunden“. Das führt einem ständig vor Augen, wie gefährlich die Welt ist, in der die Figuren sich bewegen. Auch wenn die aktuelle Szene nach Friede, Freude und Eierkuchen aussieht.

Aber es hat auch noch einen weiteren Effekt. Scorsese macht von Anfang an keinen Hehl daraus, was mit den Figuren passiert. Natürlich ahnt man oft schon wohin die Reise geht, wenn man sich die größten Mafia Filme in Erinnerung ruft. „Und sie lebten glücklich, bis ans Ende ihrer Tage“ ist in diesen Geschichten eher selten das Schlusswort. Dieser Ansatz ist sehr erfrischend, in einer Zeit, in der die Angst vor Spoilern zu Filmen und Serien an jeder Ecke lauert. Hier liegt der Fokus nicht darauf was passiert, sondern wie es passiert.

5. Die digitale Verjüngung & Der Cast

Zurzeit ist es ja ziemlich en vogue, Schauspieler mittels CGI digital zu verjüngen. Was den Schönheitschirurgen der Hollywood Darsteller*innen natürlich ein Dorn im Businessplan sein dürfte, ist für den Film an sich ein Segen, allerdings ein technisch noch nicht ganz ausgereifter - und oft falsch verwendeter (siehe Gemini Man).

© 2019 Netflix

Wer ältere Filme mit Robert de Niro kennt, wie zum Beispiel Casino, seine letzte Zusammenarbeit mit Scorsese aus dem Jahr 1995, der hat vielleicht noch im Kopf, wie er damals aussah. Das kann in einigen Momenten dazu führen, dass das Gesicht des jungen Frank Sheeran in manch einer Szene, gerade wenn viel Bewegung im Spiel ist oder ein ungünstiger Winkel entsteht, sehr künstlich aussieht. Noch schlimmer hat es meiner Meinung nach Joe Pesci erwischt. Es gibt ein paar Szenen, da sieht sein Kopf aus, wie mit MS Paint auf seinen Körper montiert. Das sind aber zum Glück nicht viele.

Die meiste Zeit ist es wirklich gelungen und vor allem hilft es, die inszenatorischen Grenzen des Films zu überwinden. Hätte jeder Zeitabschnitt hier seinen eigenen Schauspieler gehabt, wäre der Film einem Großteil seiner Brillanz in Form der großartigen schauspielerischen Leistungen des Trios de Niro, Pesci und Pacino beraubt worden. Ein hoch also auf diese Technik – so lange man sie sinnvoll gebraucht.

Und zum Schluss: Das Ende (Spoiler)

Dieser Film wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Allerdings im positiven Sinne. Er ist wohl das letzte große Gangster Epos dieser Art und erfühlt sich auch an wie ein Schlussstrich. Ein aktueller Hollywood Trend ist das befeuern von nostalgischen Gefühlen. Ständig wird an die „gute alte Zeit“ erinnert, obwohl niemand so genau weiß wann das eigentlich gewesen sein soll. Dieser Film spielt zwar atmosphärisch auch mit Nostalgie, er tut das aber zu keinem Zeitpunkt auf eine kitschige Art. Im Gegenteil, er hinterlässt Leere und eine ernüchternde Bitterkeit.

Er ruft einem zu: Okay Boomer, es ist aus, die fetten Jahre sind vorbei. Der Film zelebriert nicht Glanz und Gloria des organisierten Verbrechens, sondern stellt mitleidlos die Frage, wer bezahlt am Ende die Rechnung? Für den irischen Mann jedenfalls, der sich bis zum bitteren Ende an dem Mafia-Codex klammert, obwohl außer ihm niemand mehr da ist, gibt es keine Vergebung. Kein Happy End wartet dort auf ihn, nur der Tod vor seinen Augen und der leere Blick zurück auf das was war und nie wieder sein wird.