Operation Durchschnitt: Der neue Guy Ritchie Film

Operation Durchschnitt: Der neue Guy Ritchie Film
Foto: © Leonine Studios

Dieser Agent wirkt wie aus der Zeit gefallen.

Superspion Orson Fortune (Jason Statham) wird auf ein geheimnisvolles, gestohlenes Gut angesetzt, dass in den falschen Händen viel Schaden anrichten kann. Es muss zurück beschafft werden, bevor die Welt ins Chaos gestürzt wird. Der Plot von Operation Fortune klingt wie der eines durchschnittlichen Actionfilms aus den 80ern, oder anders ausgedrückt: wie jeder James Bond vor Daniel Craig. Und ich kann ehrlich gesagt keine Entwarnung geben, jedenfalls nicht wenn ihr einen verletzlichen Protagonisten oder Figuren mit vielen grauen Nuancen erwartet.

Tatsächlich trifft unseren titelgebenden Helden in 114 Minuten keine Kugel, keine Klinge, kein Knöchel, kein Kniff in die Wange. Sein einsilbiger, muskelbepackter, Sidekick JJ Davies (Bugzy Malone) und die verführerische, aber auch freche Femme Fatale Sarah Fidel (Aubrey Plaza) bekommen keinen Background und keine Tiefe, natürlich ist der Antagonist Greg Simmons (Hugh Grant) ein kauziger, extravaganter Waffenhändler und zu allem Überfluss soll der dann auch noch mit Hilfe des hypernervösen Star-Schauspielers Danny Francesco geködert werden. Es ist alles ein Klischee – und trotzdem funktioniert es irgendwie. Wie kann das sein?

Cast und Lines wie aus einem (guten britischen Tee Auf-)Guss

Dass Regisseur und Co-Drehbauchautor Guy Ritchie so seine Pappenheimer hat, dürfte bekannt sein. Aber es ist halt ein Erfolgsrezept, wie immer nehme man rund drei Teile britisches Charisma und mixe das mit einem Teil amerikanischem Glamour. Zum vierten Mal (und damit genauso oft wie Charlie Hunnam, Brad Pitt und Matthew McConaughey zusammen) spielt Jason Statham die Hauptrolle in einem von Ritchies Filmen. Bugzy Malone läuft zum zweiten Mal auf, genauso wie Josh Hartnett – besonders letzterer zeigt, dass er spielen kann. Auch Eddie Marsan kriegt seine obligatorische Nebenrolle.

Und dann ist da noch Hugh Grant. Immer wieder Hugh Grant. Einer, der Mitte der Zweitausender tatsächlich mal Rom-Coms gemacht hat, bekommt bei Ritchie verlässlich was zu spielen – und er spielt. Im Gegensatz zu The Gentlemen (2019) keinen so hinterlistigen, dafür einen deutlich gewaltbereiteren und nicht minder getriebenen Antagonisten. Auch das passt.

Foto: © Leonine Studios

Denn die Men in diesem Film sind nicht Gentle. Überhaupt wird mehr geballert, mehr geprotzt, mehr Geld bewegt. Es ist eigentlich nichts Britisches, feinfühliges, subtiles an dem Film, bis auf den Großteil seiner Schauspieler. Und die kriegen Lines, die britischer nicht sein könnten. Trockener, pointierter Humor zwingt auch bei rather violent deeds zum Schmunzeln und blumige Umschreibungen are quite relieving in the face of the noch so unsäglichen Dinge (auch das war in The Gentlemen eher umgekehrt).

Damit hätten wir die britischen drei Viertel, wer also liefert uns den amerikanischen Glamour? Die weibliche Hauptdarstellerin Aubrey Plaza. Auch sie konterkariert Klischees. Aber das hat einen eigenen Absatz verdient.

Die notwendige Modernisierung des Genres

Entgegen der stereotypen Spionage-Streifen gibt es hier keine Damsel in Distress. Sollte im Jahr 2022 auch irgendwie klar sein. Aber Plaza brilliert in ihrer Rolle als Agentin nicht nur mit bissigen Kommentaren und Souveränität in prekären Situationen. Sie ist auch abseits dessen kein Love-Interest. Es funkt zwar zwischen Sarah Fidel und Orson Fortune (keine Sorge, zu den Namen kommen wir noch) – aber nicht selten macht die Frau dabei den ersten Schritt. Gleichzeitig erweckt sie bei ihren Flirts mit dem unverwundbaren und gutaussehenden Agenten nie den Eindruck, sie wäre leicht zu haben. In einer Sequenz funkt sie Fortune seine Order zu und benutzt in wenigen Minuten fünf Mal den Ausdruck „Liebster“ (im Original das aus meiner Sicht wesentlich schönere „my Love“), ohne das je was zwischen den beiden gelaufen ist.

Foto: © Leonine Studios

Die Folge: unser ach so abgebrühter Agent benutzt prompt den falschen Ausgang und versaut fast die Mission. Zusätzlich macht Guy Ritchie dann eben das, was Guy Ritchie macht. Sarah lenkt einige der Operationen als Hackerin. Und natürlich gibt sie die Anweisungen nicht per Headset durch. Nein, wir sehen beim Funkverkehr Nahaufnahmen ihrer blutroten Lippen vor einem Großmembranmikrofon in einem ebenso dunkelrot ausgeleuchteten Überwachungs-Van oder Hotelzimmer.

Die weibliche Hauptrolle ist weiblich, sie ist lasziv, sie ist sexy, aber sie ist eben nicht zu diesem Zweck im Film. Stattdessen trickst sie Bösewichter aus und wäscht den Männern den Kopf, wenn die mal wieder tünnef faseln, sie unterschätzen oder sich dem Ernst der Lage nicht bewusst sind. Besonders Josh Hartnetts treudoofer Schauspieler mit Hang zu Allüren kriegt hier sein Fett weg.

Natürlich ist nicht alles Gold was glänzt

(AB HIER SPOILER – im nächsten Absatz geht’s gefahrenfrei weiter)


Ja, der Film hat Schwächen. Ich habe fest mit einem krassen Reveal oder einem raffinierten Twist im letzten Drittel gerechnet. Und es gibt einen Twist, besonders raffiniert ist der nur leider nicht und er lässt Fragen offen. Den ganzen Film über pfuschen unserem britisch-amerikanischen Quartett nämlich amerikanisch-britische Superagenten rein, von denen wir lange denken, dass sie für einen anderen Auftraggeber handeln. Tun sie aber gar nicht, sondern auf eigene Rechnung und um sich selbst zu bereichern: OH NEIN! Das ist nicht besonders originell und leider stellt der Film sogar in seinen eigenen Dialogen zuvor immer wieder die Frage „woher er nur seine Informationen bekommt“. Ja, woher nur, wenn nicht aus einem dichten Spionage-Netzwerk irgendeiner Regierung?!

Und dann wäre da noch das Objekt der Begierde. Der Geheime Koffer der am Anfang des Films geklaut und nun auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Nach langer Geheimniskrämerei finden unsere Helden raus, es handelt sich um eine K.I.. Um DIE K.I.. Die Mutter aller K.I.. Eine K.I., sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und auf ewig zu binden. Nicht nur wird nicht erklärt woher die künstlich-intelligente Wunderwaffe kommt, auch ihre Käufer und deren anvisierter Verwendungszweck sind sehr dürftig (Biotech-Milliardäre wollen den Kapitalismus stürzen (?)).

Zu allem Überfluss passt das Ding auch noch auf eine externe Festplatte, wie man sie noch bei Expert kaufen konnte, als James Bond schon Cyberterroristen bekämpft hat – das ist über zehn Jahre her, und selbst damals gab es schon Clouds und dezentrale Serversysteme und den ganzen Mist von dem ich keine Ahnung hab. Ein Bild dieser externen Festplatte mit dem „Handle“ - so wird die K.I. genannt – gehört aus meiner Sicht ins Abbildungsverzeichnis des Filmlexikons. Der Dazugehörige Eintrag ist McGuffin.

Guy Ritchie und seine metaphysischen Vorlieben


Um wieder auf einen grünen Zweig zu kommen, möchte ich nochmal meine Liebe für Guy Ritchies spezielle Art ausdrücken. Der Mann macht sich Mühe. Neben dem guten Screenwriting und dem Humor sitzt auch die Action, besonders in Nahkampf-Sequenzen. Wo draufgehauen wird, wird draufgehalten. Dazu sind die Namen der Figuren nicht zufällig gewählt, dass der Name unseres Hauptcharakters Orson Fortune verdächtig an einen Fortunate Son erinnert, spiegelt dessen Unbekümmertheit und Unverwundbarkeit.

Dass der Name der nicht zu habenden, nicht zu kriegenden und selbstbestimmten Sarah Fidel an das Motto der US-Marines („Semper Fidel“ oder „SemperFi“) erinnert, ist garantiert auch kein Zufall. Zu den Kompetenzen von Sidekick JJ Davies gehört laut seiner Akte neben Nahkampf und Waffenhandling auch Rappen – googelt mal, womit Darsteller Bugzy Malone eigentlich seine Brötchen verdient.

Ein Film für Fans, nicht für Kritiker


Das ist das Fazit der ganzen Geschichte. Guy Ritchie ist schon öfter nachgesagt worden, zwischen Genie und Wahnsinn zu wandeln. Er ist sicher kein Cinematograf wie Wes Anderson, keine Meta-Maschine wie Edgar Wright. Aber er vereint gutes aus beides Welten.

Er bleibt seinen Darstellern, seinen Geschichten und damit auch seinem Vibe treu. Seine Filme machen Spaß, weil man abschalten darf, ohne sich zu sehr über haarsträubende Dämlichkeiten zu ärgern. Das eingangs erwähnte Klischee von Film ist Operation Fortune nicht.

Er ist eine Hommage an eine Zeit, als es noch okay war, dass es im Film schwarz und weiß, gut und böse, recht und unrecht gab, ohne dabei die Gewinne der jüngeren Vergangenheit zu verschlafen.