Die ohrenbetäubende Stille - Sound of Metal Review

Die ohrenbetäubende Stille - Sound of Metal Review
© Amazon Studios


Wenn das Leben hart wie Stahl zu dir ist, ...

dann wirst du Metal-Musiker. Das jedenfalls scheint der Plan zu sein, den der Drummer Ruben Stone (Riz Ahmed) gefasst hat. Gemeinsam mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke), die gleichzeitig Gitarristin und Sängerin ist, geht er als Duo "Black Gammon" auf Tour. Davon finanzieren sich die beiden das Leben in ihrem Camping-Mobil und hoffen, eines Tages von mehr als nur der Hand in den Mund zu leben.

Allerdings wird Rubens - Traum möchte man gar nicht sagen - Lebensentwurf überschallt, als er ziemlich schlagartig und schnell beginnt, sein Gehör zu verlieren. Es gibt zwar eine Behandlung mittels Implantats, aber die ist kostspielig und ohne seine Gigs kann Ruben die Kohle nicht auftreiben.
Durch seinen Gehörverlust geraten er und seine Freundin nicht nur auf der Bühne out-of-sync, auch neben den Shows sind sie unterschiedlicher Auffassung, wie mit dem Problem umzugehen ist. Ruben meint, er könne nach Gefühl und Sicht spielen, Lou hält das für unmöglich.
Sie stellt ihm das Ultimatum, zuerst in einer abgeschiedenen Wohngemeinschaft für Gehörlose zu lernen, mit der neuen Situation umzugehen und sie erst danach wiedersehen zu können. Er gibt widerwillig nach, allerdings seinerseits unter der Bedingung, dass Lou auf ihn wartet und ihm die Chance gibt, es nach einiger Zeit nochmal auf der Bühne zu versuchen.

Ein bild wie Tausend bpm - Eine verzweifelte Stimme, die der leere Blick nicht hört. ©Amazon Studios

The show that's just a tale

Was mir an diesem Film so gefällt, ist dass er gekonnt viele Dinge erzählt, die er gar nicht zeigt. Beispielsweise wird an der ein oder anderen Stelle erwähnt, dass Ruben und Lou suchtkrank sind, dass Lou sich außerdem ritzt und das beide in sehr schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind. Außer ein paar Narben an ihrem Unterarm ist davon im Film aber nichts zu sehen, und trotzdem nimmt man diesen beiden jungen Menschen ihre Leidensgeschichte ab. Großen Anteil daran haben sicher Riz Ahmed und Oliva Cooke, die mit jeder Faser in jeder Szene das chaotische und harte Leben ihrer Rollen erlebbar machen.
Und auch wenn - oder gerade, weil - das Publikum an manchen Stellen den Eindruck bekommt, dass etwas zu wenig gezeigt und einiges nicht erzählt wird, ist es faszinierend, wie souverän und mühelos Sound of Metal den filmischen Grundsatz "Show, don't tell!" umkehrt und trotzdem zu begeistern weiß.

Sound of Meta

Noch besser gelingt es Autor und Regisseur Darius Marder, seinem Hauptcharakter einen Weg aufzuzeigen, wie er mit seiner neuen, stahlharten Lebensrealität umgehen kann. Oder besser: könnte, denn Ruben tut sich schwer damit.
Marder lässt seinen Protagonisten immer wieder aus der Haut fahren, wutentbrannt schreien und auf Dinge so hart und so schnell wie auf sein Schlagzeug einschlagen. Zuschauer*innen bekommen das Gefühl, dass Ruben gar keine anderen Werkzeuge als die Stilmittel seiner eigenen Musikrichtung kennt, um seine Verzweiflung zu kanalisieren. Auch hier sei nochmal erwähnt, dass wirklich großartig ist, was Riz Ahmed daraus macht. In einer Szene zerlegt der einen Donut langsam, aber kraftvoll und im Takt, nur um das Gebäck wieder zusammen zu setzen und erneut kaputt zu trommeln.

Falls ihr den Film noch nicht gesehen habt, dann scrollt jetzt einfach zum nächsten Kapitel, ES FOLGT EIN SPOILER:
Im letzten Drittel des Films kommt Ruben endlich an das heilbringende Cochlea-Implantat, dass ihm sein Gehör wiederbringen soll. Katharsis? Weit gefehlt. Denn auch das nutzt Darius Marder, um Ruben mit eiserner Ironie und nur metaphorisch das zu geben, was er die ganze Zeit wollte. Denn ein Cochlea-Implantat lässt taube Menschen zwar wieder hören, aber nicht glasklar sondern alle Geräusche mit einem blechernen Unterton, der so klingt als würde jemand an einem Dosentelefon horchen, an dessen Schnur jemand anderes mit einer Eisenfeile raspelt. Der Sound of Metal, den Ruben nun hört, ist nicht der, den er wollte. Nach der OP sucht er Lou wieder auf und kommt auch mit ihr zusammen. Doch sowohl die Zeit als auch die veränderten Umstände lassen beide konsterniert feststellen, dass das leben nicht mehr so ist, wie es mal war. Ob die beiden zusammen glücklich werden, lässt Sound of Metal offen.

Stille inmitten des Lärms

Die Story ist dramatisch, aber sie hält auch ein paar schöne Lebensweisheiten bereit. Denn Ruben lernt mit der Zeit, mit der Situation umzugehen. In diese Geschichte verpackt der Film die lebensbejahende Botschaft, dass Gehörlosigkeit nicht als Behinderung betrachtet werden muss. Kommunikation und Interaktion sind auch taub erlernbar, unser Protagonist lässt sich von anderen Gehörlosen (auch Kindern) inspirieren und findet so einen Weg zurück ins Leben.

Ruben lernt und lehrt mit der Zeit, trotz seiner neuen Situation. ©Amazon Studios


Die Perspektive aufs Taub-Sein, also ob es nun das Ende der Musiker-Karriere oder das Tor zu neuen Möglichkeiten ist, wird kongenial vom Klang des Films gespiegelt. Immer wieder spielt Darius Marder (dessen Bruder Abraham übrigens für die Musik im Film verantwortlich ist) mit abwechselnd klaren und gedämpften Audiospuren: mal sind die Zuschauer*innen selbst gehörlos, mal sehen sie gehörlosen Menschen bei ihrem alltäglichen Leben zu. Der Film sieht gut aus, aber das Sound 'n' Feel stellt das Look 'n' Feel meilenweit in den Schatten.

Und dann haut der Film noch eine Weisheit raus, die mir persönlich richtig unter die Haut geht. Plötzliche Gehörlosigkeit kann Menschen lehren, die Stille zu schätzen. Natürlich wünscht sich kaum jemand, taub zu sein. Aber in einer Welt, die ein Trommelfeuer von Reizen auf uns abgibt, in der wir immer härter, schneller und lauter leben müssen oder wollen, fehlt es vor allem an Ruhe. Zwar lernt unser Hauptcharakter die Stille erst durch einen folgenschweren Fehler zu schätzen - Sound of Metal ist halt ein Drama -, aber bei mir als Metal-Fan mit chronischem Tinnitus trifft dieser finale Ton des Films einen schon lange strapazierten Nerv.

Kein Musikfilm, sondern ein Soundfilm

Sound of Metal ist keine Tragödie, die vom geplatzten Traum eines aufstrebenden Musikers erzählt. Das wird auch daran deutlich, dass Drummer Ruben im gesamten Film nur dreimal hinter seinem Schlagzeug sitzt.
Es ist vielmehr ein Drama mit Lichtblicken, das von den betäubenden Ohrfeigen erzählt, die das Leben verteilt, das aber gleichzeitig zwei so schön kaputte Menschen auf ihren eigenen Wegen begleitet.